
Vergessener Reichtum, tödliches Erbe: Die Quecksilbermine Santa Bárbara in Peru
- Carmen Heller
- 7. Aug.
- 6 Min. Lesezeit
Verborgene Industriegeschichte auf 4000 Metern Höhe
In den Bergen oberhalb von Huancavelica, auf über 4000 Metern Seehöhe, liegt ein Ort, den kaum jemand kennt, der jedoch eine zentrale Rolle in der kolonialen Wirtschaft Südamerikas spielte: die Mina Santa Bárbara, eine der bedeutendsten Quecksilberminen des Kontinents. Heute ist das Gelände verlassen, doch die gut erhaltene Industrieanlage, die vermauerten Stollenmundlöcher und die aufgegebene Siedlung Santa Bárbara erzählen eine Geschichte von Ausbeutung, Technik, Glauben und einem giftigen Metall.


„La mina de la muerte“ – die Mine des Todes. Ein Ort, an dem Dunkelheit und Tod tief unter der Erde untrennbar verbunden waren, wo viele Bergleute ihr Leben verloren.
Quecksilber und Imperium: Das verborgene Rückgrat kolonialer Macht
Quecksilber – auch als „lebendiges Silber“ bekannt – war vom 16. bis ins 19. Jahrhundert ein strategisch entscheidender Rohstoff. Denn ohne Quecksilber ließ sich das aus den Anden gewonnene Silbererz nicht effizient verarbeiten. In der berühmten Silberstadt Potosí (im heutigen Bolivien) wurde es für die sogenannte Amalgamierung benötigt: Dabei verband sich das Quecksilber mit dem Silber, bevor es wieder herausgeschmolzen wurde.
Die Spanier wussten, was sie an diesem Element hatten – und sie wussten, wo sie es fanden: in Huancavelica. Hier lag das zweitgrößte Quecksilbervorkommen der Welt. Und hier entstand mit der Mina Santa Bárbara ab dem späten 16. Jahrhundert eine der gefährlichsten, aber lukrativsten Bergbauanlagen des spanischen Weltreichs.

Wie Quecksilber gewonnen wurde – und was es anrichtete
Die Grundlage des Abbaus war das leuchtend rote Erz Cinnabarit (Zinnober), ein Quecksilbersulfid, das in den Gesteinsschichten rund um Santa Bárbara vorkommt. Um das Metall zu gewinnen, wurde das Erz zerkleinert und bei hohen Temperaturen in Öfen erhitzt. Dabei verdampfte das Quecksilber kondensierte anschließend in gekühlten Tonrohren und Sammelkammern zu flüssigem Metall.

Was technisch einfach klingt, war für die Arbeiter oft ein Todesurteil. Die Dämpfe sind unsichtbar und hochgiftig: Zittern, Halluzinationen, Zahnausfall, Lähmungen, Persönlichkeitsveränderungen und frühe Todesfälle waren die Folge. Schutzmaßnahmen gab es kaum – und der Einsatz indigener Zwangsarbeiter unter dem kolonialen Repartimiento-System tat sein Übriges.
Die Anlage: Ein fast vergessenes Industriedenkmal
Heute ist die Industrieanlage von Santa Bárbara überraschend gut erhalten. Große Gebäudekomplexe, mehrere Schornsteine, Überreste der Öfen und weite Sammelbecken lassen erkennen, mit welcher Dimension hier gearbeitet wurde. Zwei ehemalige Stollenmundlöcher, Puerta Belén und Puerta San Javier, führen direkt in den Berg – heute sind sie vermauert, doch ihre wuchtigen Portale sind noch deutlich zu sehen.





Im ehemaligen Ingenieursbüro liegen noch immer Stapel alter Unterlagen: Rechnungen, Notizen, Messprotokolle. Auf einigen Blättern ziehen sich die feinen Linien eines analogen Schreibers – einst aufgezeichnete Betriebsdaten. In einem der Räume steht ein alter Labortisch, auf dem noch Reste von Chemikalien lagern. Alles wirkt, als hätte man den Betrieb einfach eines Tages beendet und die Tür hinter sich zugezogen.




Die Mine war über Jahrhunderte in Betrieb – zunächst unter spanischer Krone, später unter staatlicher Aufsicht und im 19. und 20. Jahrhundert teilweise durch internationale Gesellschaften. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Förderung schrittweise eingestellt.
Santa Bárbara: Geisterstadt mit Kirche, Friedhof und Plaza
Direkt neben der Industrieanlage liegt die verlassene Siedlung Santa Bárbara. Es ist ein Ort, der trotz Verfall nichts von seiner Präsenz verloren hat. Man kann die Struktur der ehemaligen Minenstadt gut erkennen: eine große, noch erhaltene Kirche (heute abgesperrt), ein Friedhof, Überreste von Wohnhäusern, Verwaltungsgebäude und der Hauptplatz.




Spärliche, teils verwitterte Hinweisschilder geben heute Auskunft über die Geschichte des Ortes. Die Industrieanlage ist nicht als klassisches Besuchsziel erschlossen – es gibt keine offiziellen Wege, keinen Infopoint, keine Sicherheitseinrichtungen. Wer sich dem Gelände nähert, tut dies auf eigene Verantwortung. Der Zustand der Anlage ist lückenhaft dokumentiert und birgt potenzielle Gefahren: lose Strukturen, ungesicherte Bereiche und unklar zugängliche Zonen. Gerade diese Mischung aus Authentizität und Abgeschiedenheit macht den Ort für manche Reisende so reizvoll – nicht zuletzt für jene, die abseits der touristischen Pfade unterwegs sind.

Und heute? Ein Metall im Schatten
Auch wenn Santa Bárbara längst verstummt ist, das Kapitel Quecksilber ist global noch nicht ganz zu Ende geschrieben. Der industrielle Abbau ist weltweit stark zurückgegangen, verboten ist er jedoch nicht überall. Heute gelten Staaten wie Tadschikistan als eine der letzten legalen Förderregionen. In China, Mexiko und vereinzelt in Südostasien wird Quecksilber weiterhin produziert oder fällt als Nebenprodukt an.
Wesentlich problematischer ist jedoch der illegale Einsatz: Vor allem im informellen Goldbergbau – etwa im Amazonasbecken oder Teilen Afrikas – wird Quecksilber noch immer genutzt, um Gold aus dem Gestein zu lösen. Abgelegene Dörfer, verseuchte Flüsse und chronische Vergiftungen sind die Folge.
Seit dem Minamata-Übereinkommen von 2013, das über 140 Staaten unterzeichnet haben, ist der internationale Umgang mit Quecksilber stark reguliert. Doch wie so oft verläuft die Grenze zwischen Verbot und Realität unscharf – vor allem dort, wo Menschen ums Überleben schürfen.
Was in Santa Bárbara einst Teil eines staatlich organisierten Systems war, lebt heute in anderen Weltgegenden als Schattenwirtschaft fort.
Ein Ort, der hängen bleibt – persönlich und historisch
Mein Partner und ich waren ein Jahr lang mit dem Motorrad in Südamerika unterwegs. Wir haben viele der berühmtesten Sehenswürdigkeiten gesehen – doch Santa Bárbara war für mich eines der absoluten Highlights in Peru. Vielleicht gerade deshalb, weil man hier nichts vorgesetzt bekommt. Keine Anden-Postkartenästhetik, kein Touristenrummel. Stattdessen: Abgeschiedenheit. Bröckelnde Mauern. Schwere Geschichte.
Und genau das passt zu dem, was ich unter Wortkultur verstehe. Ich erzähle Geschichte nicht als Hochglanzversion. Ich vermittle sie vor Ort – in Stadtführungen, Themenführungen und Content-Projekten. Als Spurensuche. Ob in Kärnten oder in den Anden: Es geht mir um Orte, die uns etwas lehren. Über Macht, über Technik, über das Menschliche im Großen wie im Kleinen.
Besuchstipps (Stand 2025)
Lage: ca. 15 km östlich von Huancavelica, Peru, auf etwa 4100 m Seehöhe
Anreise: Mit dem eigenen Fahrzeug (idealerweise Motorrad oder 4x4), Weg ist nicht durchgehend asphaltiert; auch als Wanderung (6 km, ca. 2 h)
Zugang: offiziell verboten, aber offen; Betreten auf eigene Verantwortung
Empfehlung: Warme Kleidung, Sonnenschutz, gute Kondition; Höhenkrankheit möglich
Dauer: Rundgang durch Siedlung & Anlage: ca. 2–3 Stunden
Hinweis für Lost-Places-Fans: beachte den Urbex-Kodex, der weltweit unter respektvollen Entdecker:innen gilt:
Nimm nichts mit – außer Fotos
Hinterlasse nichts – außer Fußspuren
Zerstöre nichts – auch wenn es schon verfallen wirkt
Betritt keine Gebäude, die eindeutig gesperrt oder gefährlich sind
Veröffentliche keine genauen Standorte, um Vandalismus zu verhindern
Mehr entdecken
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Über die Autorin
Carmen Heller ist Kulturvermittlerin, Historikerin und Gründerin von Wortkultur – Geschichte aus Leidenschaft. Ihre Schwerpunkte liegen auf Baukultur, Stadtgeschichte, Burgen, Schlössern, Sakralarchitektur und Alltagsgeschichte, mit einem besonderen Fokus auf Friesach und Mittelkärnten.
Auf Reisen interessiert sie sich neben klassischen Kulturstätten auch für weniger bekannte Orte – etwa ehemalige Industrieanlagen, die heute als stille Zeugnisse vergangener Epochen faszinieren.
Mehr über ihre Arbeit und aktuelle Projekte: www.wortkultur.at
Literatur- und Quellenhinweise
Mörth, Andreas: Die Quecksilberminen von Santa Bárbara bei Huancavelica. In: Glück auf! Zeitschrift für Montangeschichte, Nr. 2/1998, S. 34–47.
Robins, Nicholas A.: Mercury, Mining, and Empire: The Human and Ecological Cost of Colonial Silver Mining in the Andes. Indiana University Press, 2011.
Tandeter, Enrique: Coercion and Market: Silver Mining in Colonial Potosí, 1692–1826. University of New Mexico Press, 1993.
UNESCO World Heritage Centre: Mining Heritage of Huancavelica (Nominations & Tentative Lists)
Geologische Informationen zum Vorkommen von Zinnober und Quecksilber: mindat.org – Mina Santa Bárbara
Reisebericht mit geographischen Koordinaten und historischen Hintergrundinfos: Andeshandbook – Santa Bárbara (spanisch)
Artikel über Gesundheitsfolgen von Quecksilber: WHO – Mercury and health
Historische Karten & technische Zeichnungen: David Rumsey Map Collection – Peru Mines
Fotografien: Eigene Aufnahmen der Autorin, 2025.
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